Michel, Gerlinde: Fremdsehen

Edition 8 Verlag, 199 Seiten, CHF 25.00

ISBN 978-3-85990-354-8

Mit ihrem neuen Roman «Fremdsehen» fokussiert die Spiezer Autorin Gerlinde Michel (71) auf ein junges und ein älteres Paar. Alle vier haben ihre Verletzungen und Lecks. Drei der vier Personen haben Unbewältigtes aus der Vergangenheit aufzuarbeiten. Eine, die Künstlerin Louisa, vermeint den Weg in die Abstraktion gehen zu müssen, entdeckt aber aus dem Unbewusst-Bewussten heraus ihre Neigung zu den Formen und der Formung des weiblichen Torsos. Ihr Mann Konstantin unterhält nebenbei seine Liebschaften, wird aber durch die junge Rumänin Ileana irritiert. Sie sieht seiner ersten grossen Liebe Caliopa sehr ähnlich, zu der er den früheren Kontakt schmerzlich verloren hat. Die rumänische Vergangenheit aus der Nazizeit mit Vaterverlust und Flucht mit der Mutter holt ihn ein. Doch er stellt sich ihr ebenso wie die junge Sophie ihrem Trauma und ihrer ungeliebten Familie. Auch ihr (Noch)-Partner Cyrill kann endlich über seinen stets abwesenden Vater reden. Ausgangspunkt des Romans ist die Verwechslung der gleich aussehenden Kameras von Cyrill und Konstantin. Sie hatten sich und ihre Partnerinnen an einem Aussichtspunkt fotografiert. Beim Fremdsehen entdecken sie in beiden Kameras Bilder, die nicht für andere Augen gedacht waren.

Gerlinde Michel schreibt sehr ausgefeilt und abwechselnd aus den vier Perspektiven der beteiligten Protagonistinnen und Protagonisten. Dadurch entstehen stets neue Einsichten und Sichtweisen. Und jede Figur erhält ihre eigene Tonalität. Ein literarisch feiner, bewegender, erkenntnisreicher Lesegenuss.

 

Buchbesprechung von Svend Peternell

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